Adolf Ferdinand Dörler
Sagen aus Innsbruck's Umgebung mit
besonderer Berücksichtigung des Zillerthales
Innsbruck 1895

Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit
dem
durchlauchtigsten Herrn Erzherzog
Ferdinand Karl von Österreich
in
tiefster Ehrfurcht gewidmet
vom

Herausgeber.


In Alpenthälern zwischen Bergesriesen,
Wo dumpf der Sturzbach durch die Felsen tost,
So manches Blümlein auf den grünen Wiesen
Und hoher Steinwand sonnbeglänzet sproßt.

Des alten Heidenthumes letzte Blüten,
Sie keimen fort in reiner Bergesluft
Seit sie im deutschen Götterhaine erblühten
Und Völker fesselten durch ihren Duft.

Ein kleines Sträußlein nur von diesen Grüßen
Aus grauem Alterthume hab' ich gepflückt
Und leg' in Demuth es zu Deinen Füßen,
Erlauchter Prinz, und fühle mich beglückt.


Vorwort

Der Zweck des vorliegenden Büchleins ist, dem geneigten Leser das Bild des reichen Sagenschatzes Innsbruck's schöner Umgebung einigermaßen zu vervollständigen oder, falls er noch keine einschlägige Sammlung gelesen hat, ihm einzuführen in die nimmermüde Phantasie des Tirolervolkes, welche die lieblichen Dörflein und trotzigen Burgen, die einsame Sennhütte und den smaragdgrünen Alpensee mit einer Welt von mythischen Wesen, verborgenen Schätzen und grauenhaftem Teufels- und Hexenspuk belebt. Vieles klingt da wieder, was unsere Voreltern den heidnischen Gottheiten zuschrieben.

So begegnet und Wodan, der höchste Gott der Deutschen, der Odin des Nordens, in mancher sage als Schimmelreiter ohne Kopf oder in seiner majestätischen Herrlichkeit auf einem feuersprühenden Rosse sitzend und strahlend von Gold und Edelsteinen.

Die Kasermanndl erinnern, wenn sie am Martinsabend, um welche Zeit dem Wodan die großen Herbstopferdargebracht wurden, von den Alpen abfahren, an die Züge der wüthigen Fahrt, des wilden Heeres, der wilden Jagd oder des Nachtvolks und "Wuoata", wie man Wodans Heer in Vorarlberg nennt. Ja, man vernimmt sogar die warnende Stimme des getreuen Eckhart, wenn das Kasermanndl einem vor dem Hause stehenden Mädchen zuruft:

"Madl, thua zua die Thir,
Es geaht 's Unglück vir!"

Den Schubkarren in der Sage vom Kasermanndl in Aldrans (Nr. 25, 6) könnte man mit den Wodanswagen vergleichen.

Der Zug, daß das letzte von den Kaserterggelen hinkt (Nr. 25, 2), kehrt in den Berchtsagen wieder, denn das letzte, der von Berchta angeführten, ungetauften Kinder steht bei jedem Schritt auf sein zu langes Hemdlein und wird so im Gange gehemmt. (Vgl. Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, S. 64, f. und Zingerle, Sagen aus Tirol, 2. Aufl. Nr. 29, 1.)

In der Sage vom Zäuner (Nr. 36) spiegelt sich vielleicht die derbe Riesengestalt des Donar mit seinem Hammer, welcher Gott in einem mit zwei Böcken bespannten Wagen einherfuhr oder zu Fuß mit einem Tragkorbe auf dem Rücken, (vgl. Das "Zeggarl", Körbchen in oben erwähnter Sage) die Lande durchstreifte. Auch die Sage Nr. 108, 2. und 3. klingen an das Wesen des Donnergottes an.

Die Venedigerkäfer erinnern an den Käfercultus der Germanen, welcher jetzt nur noch in wenigen Sagen nachhallt.

Hexen verwandeln sich oft in Katzen. Diese waren bekanntlich Frouwas heilige Thiere, dessen Wagen sie zogen. Schon im Alterthume treffen wir, daß Zauberinnen häufig Katzengestalt annahmen, um in dieser Vermummung Unheil aller Art anzustiften. Aus den bei unsern Voreltern so hochgeehrten Priesterrinnen wurden gleichfalls Hexen, und die Opfermahlzeiten haben sich in Hexengelage umgestaltet, welche in prachtvollen, mit Hilfe des Teufels erbauten Schlössern abgehalten werden.

Die Sage Nr. 83 und 99 ähneln in machen Stücken den Orco-Sagen. (Vgl. Chr. Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, S. 218, Nr. VI, 2. und 5.)

Was die Sagen selbst betrifft, so suchte ich sie möglichst getreu dem Volksmunde nacherzählt, in der vorliegenden Sammlung wiederzugeben. Einige Sagen, welche nicht gerade in der Umgebung Innsbruck's spielen, führte ich des Vergleiches halber an.

Möge dieses Werkchen in seiner Anspruchslosigkeit bei den Freunden der Volkssage gütige Aufnahme und nachsichtige Beurtheilung finden und sich in den herzen der geneigten Leser ein Plätzchen zu erobern verstehen!

Wilten, im April 1895.

Der Herausgeber.


Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895