Atlas Tyrolensis 1774, Peter Anich, Blasius Hueber
Wolfgang Morscher
TYROLIS
SUB
FELICI REGIMINE
MARIAE THERESIAE
ROM. IMPER. AVG.
CHOREOGRAPHICE DELINEATA
a Petro Anich et Blasio Hueber Colonis oberperfusianis
Curante
Ignat. Weinhart Profess. Math. in Univers. OEnipontana
AEri incisa a Joa. Ernest Mansfeld
Viennae 1774.
Der "Atlas Tyrolensis" ist die von Peter Anich und Blasius Hueber geschaffene Karte von Tirol, die nicht nur wegen ihres reichen und genauen Inhaltes, sondern auch als Schöpfung einfacher Bauern berühmt wurde.
Die Geschichte der Karte ist so eng mit der Person von Peter Anich verknüpft, dass man auch kurz von der "Anich-Karte" spricht. Peter Anich, geboren 1723 in Oberperfuß, der zeitlebens Bauer geblieben war, hatte nur notdürftigen Schulunterricht genossen. Er muss sich doch auf irgend eine Weise astronomische Kenntnisse erworben haben, die ihn zur Herstellung von Sonnenuhren befähigten. Im Alter von 28 Jahren wandte er sich 1751 um Rat an den Professor der Mathematik an der Universität Innsbruck, P. Ignaz v. Weinhart S. J., der seine Begabung erkannte und in den folgenden Jahren sein Lehrer und Förder wurde. Da Anich bei seiner großen Begeisterung für die Sternenwelt auch ein guter Drechsler war, trug ihm Weinhart die Herstellung eines großen Himmelsglobus von einem Meter Durchmesser auf, anschließend auch die eines gleich großen Erdglobus. Durch diese beiden Werke wurde Anichs Name sehr bekannt. Weinhart sah in ihm jetzt auch den Mann, der eine neue Landkarte schaffen könnte, die in Tirol im Gegensatz zu den anderen österreichischen Ländern noch fehlte.
Über Vorschlag von Weinhart wurde Anich mit der Aufnahme des nördlichen Tirol betraut, worunter man damals im wesentlichen Deutsch-Tirol verstand. Unter höchstem persönlichem Einsatz und unter harten Entbehrungen führte Anich diese Aufgabe in den Jahren 1760 - 1763 aus. Seine Arbeitskraft wurde durch die Anordnungen der Wiener Regierung für zwei Jahre gebunden, die Änderungen im Maßstab verlangte.
Als Anich 1766, nur 43jährig starb, schien auch sein Werk verloren zu gehen. Glücklicherweise hatte er während seiner letzten Lebenszeit seinen Dorf- und Standesgenossen Blasius Hueber zu einem tüchtigen Gehilfen ausgebildet, der die Aufnahmen des südlichen Tirol im ursprünglichen Maßstab mit großem Geschick fortsetzte und so die ganze Tirol-Karte vollendete. Sie wurde in Wien von Johann Ernest Mansfeld in Kupfer gestochen. Bis zum Druck hatte Weinhart seine schützende Hand über das Werk gehalten.
Die Karte von Anich und Hueber war von Grund auf neu und hing in keiner Weise von den vorherigen Landeskarten ab, wie sie Wolfgang Lazius 1561, Warmut Ygl 1605 und Mathias Matthias Burgklehner 1611 gezeichnet hatten. Auf diesen Karten waren im wesentlichen nur die Talzüge mit den Entfernungen ihrer Orte voneinander dargestellt worden, das Gelände dazwischen war weithin kartographisches Niemandsland geblieben. Die neue Karte beruhte hingegen nicht nur auf einer neuen Dreiecksvermessung, sondern sie war auch erstmals flächendeckend, indem auf ihr nun auch das Gebirgsland zwischen den Tälern mit seinen Wäldern, Hochweiden, Gletschern und Gipfeln eingetragen wurde.
Peter Anich, Blasius Hueber, Atlas Tyrolensis 1766
Ausschnitt Innsbruck, Zirl, Hall in Tirol, Karwendel-Gebirge
(der Schieberegler "Layer Opacity" regelt die Deckkraft zur aktuellen Topographie)
Das Aufnahmeverfahren von Anich und Hueber war eine besondere Art einer graphischen Triangulierung, wobei zum Unterschied vom Messtischverfahren im Gelände nur die Winkel gemessen und diese erst zu Hause auf die Kartenblätter übertragen wurden. So wurden durch Vorwärtseinschneiden die neuen Punkte bestimmt, manche sicher mehrfach. Die Basislinien für die Triangulierung wurden mit Messketten gemessen. Bei einer solchen Arbeit waren Anich und Hueber im Sommer 1765 in den Sümpfen von Leifers schwer erkrankt. Zur genauen Orientierung der Aufnahmen hat Anich in Verbindung mit Weinhart an verschiedenen Orten auch die geographische Breite mit Sonnen- und Polarsternbeobachtungen bestimmt.
Der Atlas Tyrolensis ist bei seinem Erscheinen mit großem Beifall aufgenommen worden. Erst ein Jahrhundert später wurde seine geodätische Genauigkeit durch einen Fachmann, dem damaligen Major vom Militärgeographischen Institut in Wien H. Hartl im Jahr 1885 gewürdigt. Es ergab sich bei 54 Punkten der Karte eine Unsicherheit von +- 0,5 Minuten = 0,9 km in der Nord-Süd-Richtung und von +- 0,8 Minuten = 1,0 km in der West-Ost-Richtung. Das ist ein Ergebnis, das für die beiden Feldmesser sehr ehrenvoll ist.
Die Bezeichnung "Atlas" ist bemerkenswert, denn es handelt sich um einen der ersten Fälle, bei dem diese Bezeichnung auch für eine einheitliche, in gleich große Blätter eingeteilte Kartenschöpfung verwendet ist, was sonst erst im 19. Jahrhundert üblich wurde. Kaiserin Maria Theresia war eine Gönnerin der Karte.
Gemäß dem Stand der kartographischen Technik zu jener Zeit kam für Anich und Hueber für die Darstellung des Tiroler Gebirgslandes nur die so genannte Halb- oder Kavaliersperspektive in Frage, bei der die Erscheinungen der Erdoberfläche unter dem gleichen Blickwinkel von 45° von einem jeweils wechselnden erhöhten Punkt aus gesehen werden, zum Unterschied von der Vogelperspektive, wo der hoch liegende Beobachtungspunkt gleich bleibt, der Blickwinkel zu den einzelnen Stellen des Geländes sich aber ändert. Bei den großen west-östlich ziehenden Längstälern sind die Bergkämme von Süden her beleuchtet, so besonders beim Inntal und beim Vinschgau. Die Nord-Süd streichenden Kämme bekommen auf der Anich-Karte das Licht von Westen, im Bereich des Allgäus sogar von Nordwesten. Im Ganzen entspricht die Anich-Karte auch der Meinung vieler Kartographen, dass die Südbeleuchtung eine Gebirgslandschaft am besten wiedergäbe, deren besonnten Hänge ja auch die meisten Siedlungen tragen.
Bei den Bergen haben Anich und Hueber nur die senkrechte Lage, also ihre Projektion in die Kartenebene, eingetragen. Mit einem kleinen Ring sind so 600 hochgelegene Geländepunkte in der Karte verzeichnet, mit einem Sternchen außerdem 40 Berge, die, wenn schon nicht die höchsten, so doch die markantesten sind. Dass zumindest Anich auch die Höhe von Bergen gemessen hat, wozu er ja auch durch seine Instrumente ohne weiteres im Stande war, zeigt seine Bemerkung: "Ortles Spiz, der Höchste im ganzen Tyrol".
Dem großen topographischen Reichtum der Anich-Karte entspricht ihre gewaltige Fülle von Namen, von denen viele erstmals auf einer Karte erscheinen. Ohne Zweifel ist dadurch viel altes Namengut vor dem Verlust bewahrt worden.
Peter Anich, Blasius Hueber, Atlas Tyrolensis 1766
Ausschnitt Vinschgau, Südtirol (Meran - Laas)
(der Schieberegler "Layer Opacity" regelt die Deckkraft zur aktuellen Topographie)
Im ganzen war die Karte von Anich und Hueber die erste genaue Landeskarte von Tirol in den Grenzen vor 1919. Das wirkte sich sogar dahin aus, dass man bei der großen josephinischen Landesaufnahme auf eine neue Vermessung von Tirol verzichtet hat. Im französischen Generalstab bezeichnete man die "Bauernkarte" als eines der schönsten topographischen Werke des 18. Jahrhunderts.
Wenn auch der "ATLAS TYROLENSIS" durch die modernen Aufnahmen längst überholt ist, so hat er doch als hervorragendstes Werk der österreichischen Kartographie vor dem 19. Jahrhundert einen zeitlosen Wert. Seine Schöpfer, Peter Anich und Blasius Hueber, waren darüber hinaus Pioniere in mehreren Bereichen der topographischen Aufnahme und der kartographischen Darstellung. Sie verdienen damit einen Ehrenplatz nicht nur in der Landeskunde von Tirol, sondern auch in der Geschichte der Kartographie.
Die wissenschaftliche Aufbereitung des "Atlas Tyrolensis" ist Verdienst von Hans Kinzl (5.10.1898 - 23.10. 1979), Professor für Geographie an der Universität Innsbruck. Diese in ihrem Wert unschätzbar wertvolle und aufwändige Arbeit liegt den vorliegenden Texten in zitierter Weise zu Grunde.
Peter Anich, Blasius Hueber, Atlas Tyrolensis 1766
Ausschnitt Bozen, Südtirol
(der Schieberegler "Layer Opacity" regelt die Deckkraft zur aktuellen Topographie)
Details zum "Atlas Tyrolensis":
Im 18. Jahrhundert gab es noch keine Begriffe wie Nord-, Süd- oder Osttirol. Unter Tirol gegen Norden oder nördliches Tirol verstand man im 18. Jahrhundert ganz Deutschtirol, während man unter dem südlichen Tirol oder Tirol gegen Süden Welschtirol verstand. Diese Bezeichnung deckt sich aber nicht mit dem heutigen Begriff Trentino.
Die Originalkarte wurde im Jahr 1774 "mit solcher Begierde gesucht und aufgekaufet, daß sie in wenigen Jahren ganz vergriffen war, und auf das Doppelte und Dreyfache ihres anfänglichen Preises (sechs Gulden) im Werthe stieg". Die Originalplatten sind heute nicht mehr auffindbar.
Der Atlas Tyrolensis gründet sich auf die erste geodätische Vermessung des Landes Tirol. Er ist in dieser Hinsicht der Anfang der modernen Landesaufnahme in Tirol.
Die Kartenlegende enthält 51 Signaturen und drei signaturartige Abkürzungen. Dennoch ist die Legende nicht vollständig, innerhalb der Karte werden mehr Zeichen verwendet, die jedoch auch durch die Zeichnung an sich verständlich sind.
Quelle: Hans Kinzl, Der topographische Gehalt des "Atlas Tyrolensis", in: Hans Kinzl (HG), Peter Anich 1723 - 1766, Der erste "Bauernkartograph" von Tirol, Beiträge zur Kenntnis seines Lebenswerkes, Innsbruck 1976, S. 51 - 176
und:
Hans Kinzl, Begleitwort zur Jubiläumsausgabe der Karte von Tirol des Peter Anich und des Blasius Hueber, Faksimiledruck nach der Originalausgabe, Innsbruck 1974.